Die Pipi-Superkraft der Weichschildkröte

Salzwasser ist für viele Tiere tödlich

Salzwasser ist für viele Organismen eine extrem lebensfeindliche Umgebung. Zahlreiche Wirbeltiere – unter anderem auch wir Menschen – gehören zu den ureotelischen Lebewesen. Das bedeutet, dass sie beim Stoffwechsel anfallende Stickstoffabfälle als sogenannten Harnstoff über die Nieren mit dem Urin ausscheiden, also pinkeln. Auch die Chinesische Weichschildkröte (Pelodiscus sinensis) macht das so. Um den giftigen Stickstoff auf diese Weise loszuwerden, wird jedoch – wie jeder von uns aus eigener Erfahrung weiß – sehr viel Flüssigkeit benötigt. Im Süßwasser ist das kein Problem. Im salzhaltigen Brackwasser aber müsste die Weichschildkröte große Mengen Salzwasser aufnehmen.

Chinesische Weichschildkröte (Foto: E. Denes)

Osmose als tödliches Problem

Das größte Problem dabei ist die Osmose. Wenn der Organismus zu viel Salz aufnimmt, geben die Zellen Wasser ab, um die Salzkonzentration zu senken, also das Salzwasser quasi zu verdünnen. Fatalerweise trocknen die Zellen dadurch aber aus, was früher oder später zum Tod führt.

Chinesische Weichschildkröte (Foto: M. Korzeniec)

Die Weichschildkröte hat das Problem gelöst

Dennoch ist die Chinesische Weichschildkröte im Brackwasser, also dem Übergang von Süß- zu Salzwasser (z. B. Flussmündungen), anzutreffen. Aber wie macht sie das? Meeresschildkröten z. B. verfügen über spezielle Salzdrüsen, um überschüssiges Salz abzugeben, doch die Weichschildkröte hat diese nicht. Dafür hat sie einen anderen Trick: Sie scheidet nur einen ganz geringen Teil des Harnstoffs über die Nieren aus. Der größte Teil wird nämlich auf anderem Wege abgegeben.

Grüne Meeresschildkröte (Chelonia mydas) (Foto: C. Brück)

Zum Pinkeln „Köpfchen in das Wasser“

Und dieser andere Weg ist ihr Mund. Um die giftigen Stickstoffabfälle loszuwerden, taucht sie ihren Kopf längere Zeit unter Wasser und scheidet den Harnstoff aus ihrem Blut über spezielle Strukturen in ihrem Rachen aus. Das Entscheidende dabei: Der Harnstoff ist viel höher konzentriert. Folglich benötigt die Weichschildkröte im Gegensatz zum „Pinkeln“ über die Nieren nur sehr geringe Mengen Flüssigkeit, muss also kaum gefährliches Salzwasser aufnehmen.1 Problem gelöst!

Und was nützt ihr diese Superkraft?

Natürlich macht die Evolution selten etwas ohne Sinn. Und so profitiert auch die Chinesische Weichschildkröte von ihrer sehr speziellen Fähigkeit. Durch sie konnte sie ihren Lebensraum und vor allem ihrer Jagdgründe erheblich erweitern und damit die zukünftigen Überlebenschancen ihrer Art erhöhen.

Die Chinesische Weichschildkröte im Steckbrief:

Verbreitung:
ursprünglich Süß- und Brackwassergewässer Chinas; heute in vielen Ländern eingeschleppt (z. B. Spanien, Brasilien, USA)
Lebensweise:
zur Eiablage und zum Sonnen an Land, ansonsten im Wasser; zum Ruhen gern im schlammigen Gewässergrund; räuberisch
Größe:
15 bis 30 cm (Männchen kleiner)
Nahrung:
Fische, Krebse, Insekten, Weichtiere
Vermehrung:
Zwei bis drei Gelege mit 15 bis 30 Eiern, die in Mulden am Ufer abgelegt werden.
Bedrohung:
In ihrer Heimat gelten die Populationen als gefährdet durch Lebensraumverlust und die Nutzung durch Menschen als Nahrungs- und Heilmittel

Chinesische Weichschildkröte in chinesischem Supermarkt (Foto: J. P. Fischer)

Übrigens:

In China wird die Chinesische Weichschildkröte auch in Farmen gezüchtet und gilt mit mehr als 100 Mio. verkauften und verspeisten Tieren/Jahr als wirtschaftlich bedeutendste Schildkröte weltweit.2
In Europa hingegen ist sie vor allem ein beliebtes Haustier. Dabei ist zu bedenken, dass sie sind empfindlich gegenüber verschiedenen bakteriellen Erkrankungen sind und sich nur schwer an Schildkrötenfutter gewöhnen lassen. Daher werden sie meist mit rohem Fleisch, Würmern oder kleineren Wirbeltieren (Frösche, Mäuse) gefüttert. Zudem sind sie untereinander und anderen Arten gegenüber aggressiv. Auch so mancher Halter durfte dies schon schmerzhaft erfahren.

Weichschildkrötensuppe in Japan (Foto: J. Ito)

Quellen:
1 Ip, Y. K., Loong, A. M., Lee, S. M., Ong, J. L., Wong, W. P., & Chew, S. F. (2012). The Chinese soft-shelled turtle, Pelodiscus sinensis, excretes urea mainly through the mouth instead of the kidney. Journal of Experimental Biology, 215(21), 3723-3733.
2 Haitao, S., Parham, J. F., Zhiyong, F., Meiling, H., & Feng, Y. (2008). Evidence for the massive scale of turtle farming in China. Oryx, 42(1), 147-150.

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